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Trennung

„Manchmal fehlt mir Papa. Und manchmal wünschte ich beinahe, er wäre tot.“

 „Als Mami das Türschild an unserer Wohnung ausgewechselt hat, habe ich erst richtig verstanden, dass Papa nicht mehr zurückkommt. Das neue Schild ist kleiner und aus Metall. Da steht nur noch unser Nachname drauf. Das alte Schild ist aus Ton, selbstgemacht und man kann unsere Vornamen darauf lesen. Mamas und meinen. Und Papas, ganz oben, als Erstes.
 
Auf dem alten Schild sind wir noch eine Familie.
 
Vor drei Monaten ist er 400 Kilometer weit weggezogen. Zu seiner neuen Freundin. Ich habe lange gar nicht gewusst, dass er eine hat. Aber ich habe gemerkt, dass Mama und Papa sich ganz schlimm streiten. Schreien. Weinen. Und irgendwann hat Papa bei so einem Streit aus Wut eine Scheibe eingetreten.
 
An dem Abend hat Mama mir erklärt, was los ist, und dass Papa weggeht. Ich konnte das erst gar nicht glauben. Aber es hat gestimmt. Papa hat mich in den Arm genommen und mich getröstet. Er hat mir gesagt, dass er mich lieb hat und immer mein Papa bleiben wird.
 
Und dann war er weg.
 
Am Anfang habe ich ständig geheult. Weil er mir so sehr fehlte. Und ich war wütend. Auf ihn und Mama. Auf seine bescheuerte neue Freundin. Und auf mich. Ich habe gedacht, dass ich nicht deutlich genug gesagt habe, dass er bei uns bleiben muss.
 
Als Mama die Türschilder ausgetauscht hat, habe ich das alte kaputt gemacht. Absichtlich. Ich habe es fallen lassen und es ist in fünf Stücke zerbrochen. Dann habe ich die Scherben aufgesammelt und ich bin in mein Zimmer gelaufen, um zu heulen.
 
Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, dass er nicht mehr bei uns wohnt. Und dass ich ihn nicht mehr jeden Tag sehen kann. Wir telefonieren ganz oft. Ich habe ihn sogar schon besucht. Zweimal. Seine neue Freundin war auch kurz dabei. Sie ist ganz nett. Ich mag sie trotzdem nicht.
 
Manchmal fehlt mir mein Papa ganz furchtbar. Und manchmal bin ich immer noch total wütend auf ihn. Dann wünschte ich mir beinahe, dass er tot wäre. Dann hätte er mich wenigstens nicht im Stich gelassen.
 
Und trotzdem bleibt er mein Papa. Trotzdem habe ich ihn lieb. Trotzdem wünsche ich mir, dass er wieder zu uns zurückkommt und jeden Tag bei mir ist.
 
Ich bin immer noch traurig, wenn ich an früher denke.
 
Dann nehme ich manchmal das alte Türschild, setze die Scherben zusammen und stelle mir vor, dass wir noch immer eine Familie sind.“
 
Nele, 11 Jahre
aufgezeichnet von Sebastian von Gehren

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© Stefanie Bernecker

Jetzt in diesen Zeiten.
Wo Ungewissheit uns umtreibt.
Vor dem Virus, das sich ausbreitet.
Oh Gott,
wir wollen daran denken,
dass du von Urzeiten her –
deine Hand über uns hältst.

(nach Doris Joachim)

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